Es gibt diesen Schlager von Jürgen Marcus, die Älteren werden sich vielleicht erinnern: „Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben.“ Die Zeile ist banal, und sie repräsentiert keineswegs meinen Musikgeschmack. Aber genau an jenen Refrain, an eine Verballhornung, muss ich denken an diesem Morgen auf dem ersten Abschlag im Ostsee Golf Resort Wittenbeck.

Gut vier Monate ist es her, dass Orthopäde Dr. Nikolaus Szöke vom EndoProthetikZentrum des Eduardus Krankenhauses im Kölner Stadtteil Deutz mir auf der rechten Seite ein künstliches Hüftgelenk eingebaut hat. Als sogenannte Hüft-Totalendoprothese (Hüft-TEP), die beide knöchernen Teile des Gelenks ersetzt: Kopf und Pfanne. Und jetzt stehe ich hier oberhalb der Mecklenburger Bucht, mit dem Driver in der Hand und Vorfreude auf die erste richtige postoperative Golfrunde: „Eine neue Hüfte ist wie ein neues Leben.“ Ein neues Golferleben jedenfalls.

Das Risiko der Luxation

Hinter mir liegen aufregende und anstrengende Wochen, überdies etliche skurrile Momente. Sportliche Disziplin war nötig; nicht gerade meine große Stärke; doch von der Energie befeuert, nicht wirklich wesentlich mehr als die empfohlenen drei Mindest-Monate „out of bounds“ zu verbringen. Dazu eine Umstellung von Verhaltens- und Tagesabläufen während der Reha-Phase – so lange halt, bis Muskeln, Sehnen, Bänder, Faszien rund um die neuralgische Stelle wieder erstarkt sind und den neuen Hüftkopf eigenständig in der neuen Beckenpfanne halten können.

Luxation ist das Schreckgespenst in dieser Zeit. Weil die Gefahr besteht, dass bei falscher Bewegung oder Belastung der Kopf wieder aus der Pfanne rutscht, dort herrscht ja leider nicht das Druckknopfprinzip. Deswegen darf anfangs die Hüfte nicht um mehr als 90 Grad gebeugt werden, was sehr aufrechtes Sitzen und beispielsweise eine Erhöhung des Toilettensitzes per Aufsatz notwendig macht, damit der Winkel nicht überschritten wird.

Anziehilfen und Stellungen für Frischoperierte

Der Modus Operandi des Strümpfe- und Schuheanziehens muss gleichsam umgestellt werden, damit sich das Bein nicht „falsch“ verdreht. Für die Socken gibt‘s Anziehhilfen, die einem das Bücken ersparen – der Faulpelz in mir ist versucht, das zur Dauerausstattung zu machen …

Nachts schlafe ich mit einem Kissen zwischen den Knien – ein Abstandshalter sozusagen, der verhindern soll, dass sich in Seitenlage die Beine überkreuzen und ein fürs Hüftgelenk schädlicher Winkel entsteht. Ganz zu schweigen von den standardisierten Empfehlungen des Ergotherapeuten an Frischoperierte fürs intime zwischenmenschliche Miteinander, festgehalten als Strichskizzen diverser Liebesstellungen auf einer Din-A4-Seite. Zum Schmunzeln.

Eine Menge Training bis zur Funktionsfähigkeit

Unvergessen ist das kleine Schreckmoment, als es beim ersten vorsichtigen Gang an Krücken und bei leichter Belastung des rechten Beins in der erneuerten Hüfte vernehmlich schlackert. Nein, das Bein ist nicht abgefallen. Aber ich brauchte eine Nanosekunde des Atemholens, um mir klar zu machen, dass halt alles locker ist – salopp formuliert. Dass eine Menge Training erforderlich ist, bis die „Fahrwerksaufhängung“ wieder kompakt und belastbar funktionsfähig ist.

Im Krankenhaus fackeln sie da nicht lange. Am Tag nach der Operation schon scheucht mich die ebenso nette wie resolute Dame vom Physio-Team aus dem Bett. Von wegen gemütliches Rumliegen, von wegen Schonhaltung. Mobilisierung ist angesagt, Kreislaufbelastung, Bewegung. Am Nachmittag habe ich bereits Krücken und stakse vorsichtig ins Bad.

Am Patienten liegt, was draus wird

Der nächste Morgen sieht mich auf dem Gang. Meter machen. Sicherheit gewinnen. Treppensteigen mit Krücken üben. Schwitzen. Je besser ich mit den Gehhilfen klar kommen, je schneller ich sie letztlich los werde, desto greifbarer ist das große Ziel: Endlich wieder schmerzfrei bewegen, gehen, marschieren. Endlich wieder ohne psychisch wie physisch hemmendes brennendes Ziehen in der Hüfte einen Schläger schwingen.

Darum geht‘s. Der operative Prozess ist Routine. Das Chirurgenteam braucht 45 Minuten, um den Kernjob zu erledigen; im Eduardus-Krankenhaus setzen sie jährlich über 2.000 künstliche Gelenke aller Art ein. Der Patient hat in der Hand, was draus wird.

Bei Skiunfall die rechte Hüfte demoliert

Die medizinische Vorgeschichte ist schnell erzählt. Trotz unbestreitbar reifen Alters war ich nicht von Arthrose geplagt, dem Verschleiß des Gelenkknorpels. Vielmehr habe ich mir vor etlichen Jahren bei einem Skiunfall den Kopf des Oberschenkelknochens und die Beckenpfanne demoliert. Was damals als Reparatur gerichtet worden ist, war mit Verfallsdatum versehen. Irgendwann würden an der traumatisierten Stelle Gelenkflüssigkeit, Knorpel und Knochenhaut verschlissen sein, würde Knochen blank auf Knochen scheuern.

Hochgefühl: Endlich schmerzfrei gehen – der Autor im ersten, noch nicht golfbedingten Überschwang. (Foto: Michael F. Basche)

Hochgefühl: Endlich schmerzfrei gehen – der Autor im ersten, noch nicht golfbedingten Überschwang. (Foto: Michael F. Basche)

Einige Jahre habe ich diesen Schmerz ertragen, mich hinter einer (unbegründeten) Vollnarkose-Furcht versteckt. Bis die Schonhaltung den gesamten Muskelapparat im rechten Bein zu beeinträchtigen und die linke Hüfte ebenfalls zu jaulen begann. Der Golfschwung war eh hin. Wer seinen Unterkörper nicht in Richtung Ziel zu bewegen wagt, wer steif und quer dasteht wie eine Parkbank und nur aus den Schultern schwingt, der wird zwangsläufig wieder zum Hacker. Die Golfkameraden und -kollegen, die das miterleben mussten, seien nachträglich um Verzeihung gebeten. Auch selbst wird einem so das Spiel verleidet.

Golfspezifische Übungen bei „medicoreha“

Am Tag nach dem 1. Mai, dem Tag der Arbeit – pikanterweise –, habe ich genau damit angefangen. Mit der Arbeit am neuen Geh-Gefühl. Schrittweise, im übertragenen Sinn wie buchstäblich. Der Oberbegriff lautet „Medizinische Trainingstherapie“. Mobilisierung gehört dazu, Krankengymnastik ebenso wie Lymphdränagen und Massagen, geräteorientierte und -gestützte Krankengymnastik, Koordinationsübungen, Gangschulung, das Training von Alltagsbewegungen, Muskelaufbau.

Wenn der gerade Weg zum Ziel wird: Anfangs wackelige Koordinationsübungen bei "medicoreha". (Foto: Michael F. Basche)

Wenn der gerade Weg zum Ziel wird: Anfangs wackelige Koordinationsübungen bei “medicoreha”. (Foto: Michael F. Basche)

Beim Gesundheitsdienstleister „medicoreha“, Untertitel „Ambulante Fachkliniken für Rehabilitation“, können sie das ziemlich gut. Erfahrene Therapeuten steuern den Rekonvaleszenten behutsam und dennoch zielgerichtet durch den Reha-Prozess. Selbst golfspezifische Übungen stehen auf dem Trainingsprogramm. Auf der Golfanlage Hummelbachaue bei Neuss betreibt „medicoreha“ gar ein eigenes „MedGolf Institut“, das ein breites Spektrum an sportmedizinischen und physiotherapeutischen Maßnahmen bietet – auch in Zusammenarbeit mit den Professionals der Hummelbachaue.

Gehen fast wie Schweben

Irgendwann, es hat nicht allzu lange gedauert, waren die Krücken weitgehend obsolet; irgendwann wanderten sie endgültig in den Keller. Nach drei Wochen war die Reha auf Rezept beendet. Mit einem Spickzettel voller Übungen ging die Arbeit eigeninitiativ weiter. Treppensteigen ist perfektes Ergänzungstraining, auf einem Bein stehendes Zähneputzen ebenso, der Körper-Koordination außerdem extrem zuträglich.

Und marschiert bin ich. Jeden Meter, den ich unter die Sohlen kriegen konnte. Endlich wieder richtig gehen können. Ohne hinken. Nichts tut mehr weh. Ein Hochgefühl. Gehen? Eher schweben.

Golf-Comeback nicht ohne Arzt und Pro

Wochen später dann das Golf-Comeback. Anfangs mit sehr vorsichtigen kurzen Schlägen, Putts und Chips. Die Hüfte hält. Wieso auch nicht. Halbe, Dreiviertel-Schwünge. Ohnehin habe ich Glück, dass es die rechte ist. Links wäre der Rotationsstress und damit die Belastung des zementfrei in den Oberschenkelknochen eingewachsenen Prothesenzapfens deutlich stärker; der linke Fuß sollte daher per se um 45 Grad offen gesetzt werden. Generell sollt das alles eh nicht ohne Konsultation des Orthopäden und des Pro erfolgen.

Irgendwann traue ich mich an den ersten richtigen Hieb. Klappt. Bloß der Kopf muss kapieren, was der Körper längst weiß, und die Konditionierung, die mentale Bewegungsblockade aufheben: Der Schmerz ist weg, grip it and rip it.

Neuer Schwung. Aus der Hüfte

„Wie war das noch gestern?“, trällerte damals Jürgen Marcus. Und: „Mir ist als ob ich durch dich neu geboren wär.“ Der Ball liegt auf dem Tee, das erste Fairway erstreckt sich vor meinen Augen, im Hintergrund leuchtet blau die Ostsee. Geliebtes Spiel, Du hast mich wieder. Mit neuem Schwung. Aus der Hüfte.

 





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