—– Beitrag von Hans-Gerd Heye —–

Wenn der Putt zu oft am Loch vorbeirollt

Seit rund fünf Jahren läuft es nicht mehr rund bei Deutschlands Top-Golfer. Martin Kaymer befindet sich in einer dauerhaften Krise, obwohl er selber diesen Begriff meidet. Vor kurzem hatte er aufgrund seiner niedrigen Ranglisten-Platzierung sogar die direkte Qualifikation für die PGA-Tour verpasst. Wie kam es zum Abstieg in der Weltrangliste und welche Lösung bietet sich für die nähere Zukunft an?

Nun ist das passiert, was für Golfinteressierte allerdings nicht überraschend kam. Martin Kaymer, ehemals die Nummer Eins der Profigolfer, hat nur noch eine eingeschränkte Spielberechtigung für die PGA-Tour. Wie kam es zu dieser andauernden sportlichen Krise bei einem so talentierten Spieler, der noch vor fünf Jahren nach der Players Championship auch die US Open gewann? Und Letzteres erfolgte als erster Kontinentaleuropäer und fast sensationell mit acht Schlägen Vorsprung. Dieser Erfolg erinnerte doch schon fast an Tiger Woods, der den US Open-Titel 2001 sogar mit einem Vorsprung von 15 weniger Schlägen als dem Zweiten errang (Rekord bei einem Major-Turnier)

Man tut sich als Außenstehender natürlich schwer mit einer Begründung. Rein äußerlich hat sich bei Kaymer nicht viel geändert. Der einstige Weltranglistenerste war schon immer ein Spieler, der seine Emotionen sehr gut unter Kontrolle hatte. Kaymer wirkte sogar etwas introvertiert und Gefühle zeigte er eigentlich nur nach dem entscheidenden Putt im Ryder Cup 2012, also beim „Wunder von Medinah“.

Wer sich emotional so zurücknimmt, wird allerdings auch als Mensch nicht „geliebt“. Trotzdem ist Kaymer irritiert, dass er von der Öffentlichkeit nur als Sportler wahrgenommen wird. Zumindest hat er sich im Herbst 2018 einmal kritisch so geäußert, weil er nach seiner Meinung nur über sportliche Erfolge definiert wird. Damit sollte aber ein Profisportler eigentlich schon klarkommen. Neben seiner selbstverschuldeten „kühlen“ Außenwirkung wird generell von einem Golfer mit zwei Major-Siegen eben auch mehr erwartet.

Das Problem von Kaymer ist auch nicht die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit, sondern sein eigener Anspruch. Er setzt sich nach meinem Eindruck mittlerweile selbst viel zu sehr unter Druck. Zumindest lässt er sich jetzt nach schlechten Schlägen schon mal seine Unzufriedenheit anmerken. Kaymer hat dadurch irgendwie die für einen Profigolfer optimale Kombination aus Lockerheit und Konzentration verloren. Gerade dies war mal ein ganz besonderes Merkmal von ihm. Er konnte zudem wie bei seinem letzten Putt im Ryder Cup 2012, besondere Drucksituationen, wie sie beim Golf häufig vorkommen, ausblenden. Eine Fähigkeit, die man als Profigolfer einfach haben muss, um dauerhaft erfolgreich zu sein. Sie ist im Leistungssport generell wichtig, aber speziell im Golfsport von ausschlaggebender Bedeutung. Der 18fache Majorsieger Jack Nicklaus hat einmal gesagt, dass 90 Prozent des Golfspiels im Kopf entschieden wird. Psychische Anspannung führt z. B. oft zu Beeinträchtigungen feinmotorischer Fähigkeiten. Ein Effekt, der beim Golfen insbesondere das exakte Putten verhindert. Der Putt ins Loch oder am Loch vorbei entscheidet aber nun mal wesentlich über Erfolg oder Misserfolg beim Golfspiel.

Deshalb muss Kaymer nach meiner Ansicht genau da ansetzen. Statt den seit Jahren vertrauten Caddie zu wechseln, hätte er sich schon 2016 professionelle psychologische Hilfe von einem Mentalcoach holen sollen. Und statt von Turnier zu Turnier zu hetzen, wäre eine längere Auszeit und gezieltes Training viel sinnvoller gewesen. Allerdings gehört er mit seiner geringen Wertschätzung von mentalem Training unter den Profisportlern zur Mehrheit. So nutzen nur sehr wenige Spieler die Hilfe eines strukturierten Mentalcoachings.

Negativ wirkte sich bisher bei Kaymer auch seine vor Jahren durchgeführten Korrekturen am Schwung aus. Er wollte damit nach seinen Worten eigentlich ein kompletterer Spieler werden. Durch die veränderte Schwungbewegung hat er aber viel von seiner früheren spielerischen Klasse eingebüßt. Seine einstige Stärke wie vor allem das präzise Anspiel der Fahnenpositionen auf den Grüns mit den mittleren Eisen, ist oft eher mittelmäßig. Das gilt zumindest für die Turniere, denn im Training soll es angeblich schon wieder besser laufen. Ein Teufelskreislauf beginnt: Mit jedem „schlechten“ Score geht auch ein weiteres Stück Selbstvertrauen verloren.

Mein Fazit lautet: Wenn Kaymer nicht selbst erkennt, dass er mentales Training benötigt, wird sich meiner Überzeugung nach seine sportliche Krise fortsetzen. Nur mit dem Überstehen einiger Cuts und Platzierungen im Mittelfeld bei einzelnen PGA-Turnieren wird sich daran nicht viel ändern. Die eingeschränkte Spielberechtigung für die US-Tour muss er deshalb als Chance begreifen. Er sollte sich eine Pause gönnen und sie zu einem Umdenken nutzen. So wäre eine zukünftige Konzentration auf die europäische Tour zumindest aus sportlicher Sicht vorteilhaft. Hier ist die Dichte an leistungsstarken Spielern nicht so groß ist wie in den USA. Denn was er vor allem benötigt, ist neben einer positiven Einstellung und mehr Lockerheit wieder ein richtiges Erfolgserlebnis.

 

Text: von Hans-Gerd Heye